Montag, 9. März 2015

She will be loved

Beauty queen of only eighteen
She had some trouble with herself
He was always there to help her
She always belonged to someone else

Langsam zog sie den roten Lippenstift nach und prüfte ihr Make-Up nochmal im Spiegel nach, obwohl sie das schon gefühlte hundert Mal getan hatte. Für einen Moment kämpfte sie mit den Tränen, verachtete sich selbst und ihren Körper. Ihre frisch geschminkten Lippen bebten, sie kämpfte weiter gegen den Drang, ihren Tränen freien Lauf zu lassen, an, bis sie endgültig zusammenbrach. Sie ließ sich auf den Toilettendeckel sinken und wimmerte, weinte und schluchzte. Nachdem sie sich wieder beruhigt hatte, griff sie zum Handy und schickte ihren Freund die Nachricht „Wird heute etwas später, bis dann“, straffte die Schultern und schminkte sich nochmal neu. Sie war froh, wieder einmal einen kleinen Schwächeanfall mit eingeplant zu haben und den Wecker eine Stunde früher gestellt hatte.
Bevor sie ihr Handy sicher versteckte, damit es ihr niemand klaute, checkte sie noch mal, ob sie eine Nachricht bekommen hatte. Sie schluckte, ehe sie die Nachricht von ihrem Freund öffnete. Aber es war das, was sie fast jeden Tag so lesen bekam:
„Du weißt, dass es so nicht weitergehen kann. Wieso gehörst du nicht nur mir, sondern auch…‘ihm‘? Du könntest jederzeit aufhören. Ich würde dich doch in allem unterstützen, das weißt du doch! Mann, ich liebe dich und ich will dich nicht mehr teilen, verstehst du?“
Normalerweise gingen ihr diese Nachrichten auf die Nerven, zumindest, nachdem sie sie zwei Wochen fast jeden Tag las, aber heute sorgte sie irgendwie dafür, dass es ihr besser ging. Sie legte ihr Handy in ihr Versteck, drehte sich um, atmete tief durch und lächelte den ersten, der sie ansprach an. „Wie kann ich Ihnen helfen?“, sagte sie freundlich, während sie ihn unauffällig musterte. „Ich hätte hier 250 Euro und ich habe gehört, dass Sie…“ Sie nickte nur knapp, dann sagte sie: „Tun Sie so, als ob wir Bekannte wären und Sie mich abholen würden, okay? Dann sieht es nicht so…offensichtlich aus.“ Der Typ nickte, küsste sie rechts und links auf die Wange und nahm sie mit in sein Auto. Er fuhr mit ihr ein Hotel, das nicht billig wirkte und brachte sie auf eines der Zimmer. Sie stellte die Standardfragen -„Irgendwelche Fetische, besondere Vorlieben oder so?“ - und als er mit „Nein“ antwortete, fing sie an.
Zitternd vor Ekel und Selbsthass blieb sie kurz liegen. Der Gedanke daran, dass der Freier dachte, dass das Nachwirkungen ihres Höhepunktes waren, bereitete ihr Übelkeit und wie so oft hatte sie das Gefühl, sich übergeben zu müssen. Nachdem sie sich wieder gefasst hat, riss sie sich zusammen, stand auf, nahm das Geld, das auf dem Nachttisch lag und verließ das Hotelzimmer, während der Freier duschte.
Sie hasste nicht nur sich selbst, sondern auch den Job, die Freier und den Strich. Aber was sollte sie tun? Aufhören., schoss es ihr in den Kopf, aber sie wusste, dass es nicht ging. Sie mochte vielleicht seine große Liebe sein, aber wer wusste schon, ob das stimmte, ob das zwischen ihnen wirklich „ewig“ hielt? Es gab keine Alternative. Sie wusste, dass sie weitermachen musste. Ob sie wollte oder nicht.

I drove for miles and miles
And wound up at your door
I’ve had you so many times
But somehow, I want more

Miles war nervös, als er sich dem Strich näherte, so, wie jedes Mal. Er war angespannt und seine Hände rutschten unruhig am Lenkrad hoch und runter und schienen keinen Halt zu finden. Es machte ihn so wütend, dass er frustriert darüber, dass er nach knapp eineinhalb  Jahren noch immer so reagierte, auf das Lenkrad eintrommelte und dabei ständig die Hupe betätigte. Das wiederum schien ein paar der Freier zu verschrecken, die nun panisch um sich schauend flohen, während Miles erboste Blicke der Prostituierten kassierte. Aber es war ihm egal. 
Eigentlich wollte er das nicht. Er wollte nicht am Strich vorbei, wollte nicht die ganzen Männer oder Jungen sehen, die ihn so anwiderten, wollte nicht sehen, wie sie hier zugrunde ging und Tag für Tag mehr Hoffnung verlor. Er konnte ein bitteres Lachen, das mal wieder nur er hörte, nicht unterdrücken, als er daran dachte, dass seine Freundin Hope hieß. So betrachtet verlor er an manchen Tagen zweimal gleichzeitig die Hoffnung und er fühlte sich dabei jedes Mal, als würde er innerlich sterben. 
Miles fuhr den Strich auf und ab und versuchte, die Freier zu ignorieren und sich nicht zu fragen, welcher von ihnen welche Dinge mit Hope, die er immer noch suchte, getrieben hatte. 
Als er sie endlich im fahlen Lichts einer Straßenlaterne entdeckte, schluckte er beim Anblick ihres blassen Gesichts, dann stieg er auf und lief auf sie zu. „Verdammt, Hope. Wie viel später wolltest du denn noch kommen?! Normalerweise wärst du schon seit drei Stunden hier weg, auch, wenn‘s ‚später‘ geworden wäre!“, stieß er hervor, während er sie umarmte und zum Auto bringen wollte. 
 Inzwischen wussten, die hier regelmäßig waren, dass Miles kein Freier war, wahrscheinlich hielt die Hälfte ihn für Hopes Zuhälter. Früher hatte ihn das immer wahnsinnig gestört, mittlerweile war ihm das egal. Abgesehen von heute.
Als er merkte, wie viele ihn beobachteten, schrie er: „Ich bin nicht ihr Zuhälter, ihr Schweine. Verpisst euch!“ Miles wandte sich wieder zu seiner Freundin, die mit verheulten Augen vor ihm stand und wütend anstarrte. Er wusste, was ihm heute noch bevorstand und in ihm zog sich allein beim Gedanken daran alles zusammen.
Es war ein langer Kampf, bis die beiden endlich in Miles’ kleiner Wohnung angekommen waren. 
Seufzend brachte er seiner Freundin eine Decke, die zitternd vor Kälte, und vielleicht auch vom Selbsthass und Ekel, der sich Tag für Tag tiefer in sie hineinfraß, und geschüttelt von ihren Tränen auf seinem Bett saß. Miles ließ sich neben ihr nieder und nahm sie den Arm. „Lass es raus, Kleines“, murmelte er immer wieder in ihr Haar.
Irgendwann hatte sie sich scheinbar leer geweint und trommelte plötzlich wütend auf seine Brust ein. „Du hast mich vor allen blamiert. Schon wieder!“, schrie sie. 
 Früher hätte Miles sich dagegen gewehrt, inzwischen bekam das nicht mehr mit, dafür machte er es schon zu lange mit.
Auf einmal stieg im ein leichter Grasgeruch in die Nase. Das war eines der wenigen Dinge, an die er sich nach all der Zeit immer noch nicht gewöhnt hatte. „Hast du etwa wieder gekifft?“, fragte er wütend, Hopes Antwort, nämlich ein gleichgültiges „Anscheinend schon“, überraschte ihn nicht, Hope hingegen setzte ein verächtliches „Mich wundert‘s, dass du das bisschen Gras nicht akzeptieren kannst, aber um beim Rumhuren weniger Stress machst“ nach. Miles entgleisten sämtliche Gesichtszüge, aber er fasste sich, ehe er sagte: „Bitte was? Vor zwei Minuten hast du mir noch vorgeworfen, ich hätte dich mal blamiert und jetzt soll ich deswegen angeblich keinen Stress machen? Hast du sie noch alle?“ Kaum hatte er zu Ende gesprochen, bereute er den letzten Satz auch schon. Hope starrte ihn an, dann stieß sie wütend hervor: „Du kannst mich mal!“ Ihm wurde übel, denn jetzt trat das ein, wovor er sich die ganze Zeit gefürchtet hatte. Trotzdem konnte er sich nicht zurückhalten, sprang auf und schrie: „Dann verpiss dich doch! Verdammte Scheiße, Hope, ich liebe dich mehr als andere, aber ich hab keinen Bock mehr, dich zu teilen, wie oft muss ich dir das denn noch sagen, he? Du hast die Möglichkeit aufzuhören, im Gegensatz zu den ganzen anderen Huren da draußen!“ Jetzt war es Hope, die aufsprang und keifte: „Dann bin ich für dich also auch nur eine von vielen? Eine dumme, billige, wertlose Hure, gerade gut genug, um mit ihr ins Bett zu steigen? Ist es das, was du von mir denkst?“ Miles starrte sie an. „Ist es das, was du von mir denkst, Miles?“, wiederholte sie, allerdings etwas leiser, bitterer, fast schon bedrohlich. Als er nicht reagierte, fragte sie noch einmal: „Ist es das? Denkst du das wirklich“, sie legte kurz eine Pause ein, atmete tief durch, dann stieß sie mit scheinbar letzter Kraft hervor, „Miles?“ Noch immer blieb er stumm und Hope sah ihn verletzt mit tränengefüllten Augen an. “Tja, dann…dann war‘s das wohl“, sagte sie leise, griff nach ihrer Handtasche und stürmte davon, während Miles immer noch stumm und wie festgefroren dastand. Das Zuknallen der Tür schien zu erlösen und als er die Tür anstarrte, murmelte er: „Dann war‘s das wohl. Mal wieder“ Er ließ sich aufs Bett sinken und vergrub das Gesicht in seinen Händen. Er hatte sich in den letzten 1 1/2 Jahren viel anhören müssen, aber dass Hope für ihn nur eine weitere, billige Hure sein sollte, erschütterte ihn. 
 Natürlich, dass er seine Freundin, sein Mädchen, nicht gerne teilte und erst recht nicht mit irgendwelchen fremden, geilen, ekelhaften Freiern, das schien für ihn selbstverständlich. Und auch, dass es ihm lieber gewesen wäre, wenn sie aufgehört hätte. Nicht für ihn, sondern für sich. Aber dass er sie nicht als vollwertigen Menschen und nur ein Stück Fleischware von der Straße sehen sollte, nur, weil sie weitermachte, machte ihn fertig. Es war nicht leicht, weder für ihn, noch für sie, aber er ist war sich sicher, dass sie es irgendwie schaffen würden, dass Hope da weg kam. Aber für ihn wirkte es fast so, als ob sie gar nicht aufhören und ihn vielleicht sogar bestrafen wollte. 
Miles hatte die Streitereien, die harten Worte, das Geschrei, die Tränen, die Komplikationen, die Unsicherheiten, die Freier, den Strich, alles, das mit diesem schmutzigen Geschäft zu tun hatte, satt. Alles, außer Hope, denn immerhin gehörte Hope da ja irgendwie rein.

I don’t mind spending every day
Out on your corner in the pouring rain
Look for the girl with the broken smile
Ask her if she wants to stay a while
And she will be loved
She will be loved

Noch Wochen später quälte Miles immer noch das schlechte Gewissen und sein wieder gebrochenes Herz, so, wie jedes Mal. Er wusste, dass er zu ihr zurückkehren würde, so, wie jedes Mal. An Tagen wie diesen fuhr er eher versteckt durch die Gegend und hoffte, dass sie ihn sah, auf ihn zukam, aber er beobachtete sie nie, denn das kam ihm zu übertrieben vor, er wollte lediglich auf sie warten. Er hatte aufgehört, zu zählen, wie oft er dieses Spiel schon getrieben hatte, aber er wusste, er hatte es oft genug getan, um sich im Klaren darüber zu sein, dass Hope wusste, wie das lief. Trotzdem schien sie ihn zappeln zu lassen, jedes Mal. Mit jeder Trennung schien sie ihn eine neue Woche länger quälen zu wollen und mit jedem Mal fürchtete er, dass er sie nun endgültig verloren hatte. 
Es war der dritte Tag der achten Woche, was, soweit er es im Kopf hatte, ein neuer Rekord war, als plötzlich eine Gestalt im strömenden Regen auf sein Auto zu lief. Es war zwar „ihre“ Ecke, aber Miles war schon oft von Prostituierten angesprochen worden und um ein weiteres Missverständnis zu vermeiden, ließ er die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite runter und wollte das Mädchen schon wieder wegschicken, als er sah, dass es Hope war. Sie hatte ihre blonden Haare knallrot gefärbt und ihre Augen im Racoon-Stil geschminkt, weswegen er sie im ersten Moment nicht erkannte. „Hope, was…“, brachte er hervor, während sie die Tür aufriss und sich auf den Beifahrersitz gleiten ließ. „Bitte, bring mich hier weg“, sagte sie und in ihrer Stimme lag etwas leicht Verstörtes. Also ließ Miles die Fensterscheibe wieder hochfahren und brauste davon. Die beiden schwiegen, aber Miles wusste, dass Hope den Scheibenwischern zu sah, um sich beruhigen. 
 Das war einer ihrer Macken und es war die erste, von der er erfahren hatte, direkt nach dem Geständnis, dass sie Prostituierte war. „Wie fährst du dann Auto?“, hatte er sie damals gefragt und gelacht, als sie grinsend geantwortet hatte: „Gar nicht. Ich setze mich einfach in’s Auto, schalte die Scheibenwischer an und starrte sie an wie ein trotziges Kleinkind. Du glaubst nicht, wie viele Menschen schon gefragt haben, ob mein Auto kaputt sei oder ob ich ganz normal im Kopf wäre.“
Als er wegen einer roten Ampel anhielt, stieß Hope plötzlich hervor: „Sie hassen mich“ „Wer?“, fragte Miles verwirrt. „Alle. Die Bordscheinschwalben, die Freier, die Zuhälter, die Dealer…“, sie atmete kurz durch, er glaubte zu wissen, was kam, aber als sie es mit zitternder sagte, schien etwas in ihm zu zerbrechen „und du“. „Wie kommst du denn darauf?“, fragte er entsetzt, während er Gas geben und losfuhr, weil ein Auto hinter hupte, da die Ampel auf Grün gesprungen war. Hope fing erst an zu reden, als Miles einen Parkplatz gefunden hatte, damit die beiden in Ruhe reden konnten und er nicht vor lauter Unsicherheit und verwirrenden Emotionen einen Unfall baute. „Die Mädchen wissen, dass ich ein paar mehr Chancen habe, weil ich jünger bin, aber sich die Freier nicht strafbar machen, weißt du? Außer mir gibt es nur ein oder zwei andere in meinem Alter. Wir werden am meisten gehasst von den anderen. Dieses verdammte Konkurrenzdenken!“, sagte sie bitter. „Weißt du, irgendwie kann ich verstehen, dass sie dich deswegen beneiden. Sie hassen dich nicht, sie sind neidisch.“, entgegnete Miles. „Neidisch?“, wiederholte Hope und lachte genauso bitter auf, wie sie gesprochen hatte. „Wenn sie neidisch wären, hätten sie mich kaum zu dritt auf’s Klo gezogen, mich angespuckt und mir quer über den Bauch mit 24-Stunden-Lippenstift „Edelflittchen“ geschrieben!“ Er schwieg für einen Moment, er wollte nicht diskutieren, also sagte er: „Was ist mit den Freiern?“ Er hasste sich für diese Frage, denn eigentlich interessierte es ihn kein bisschen, ob und warum die Freier Hope hassten. Sollten sie doch, war ihm ganz recht. Trotzdem machten sie einen Großteil ihres Lebens aus und deswegen fühlte er sich fast schon dazu gezwungen, nachzufragen. „Die denken, ich verlange zu viel Geld. Oder mache meinen Job nicht richtig oder was weiß ich. Auf jeden Fall scheine ich laut denen nichts richtig zu machen.“, antwortete sie und der bittere Ton in ihrer Stimme wich der Frustration. Ihre Stimme bebte und ihr Wechselbad der Gefühle schwappte auf Miles über. Er hasste die Freier und gleichzeitig schien er sie irgendwie zu mögen, denn auf skurrile Art und Weise brachten sie die beiden zwar immer wieder auseinander, trieben sie aber oft genug, so wie jetzt, wieder zusammen. Und für diesen Gedanken hasste er sich selbst. „Das sind nur dumme Arschlöcher, Kleines. Die sind froh, wenn die mal wieder vögeln können, dafür würden ein paar von denen wahrscheinlich über Leichen gehen und ein paar von denen sind doch sowieso krank im Kopf.“, versuchte er sie beruhigen, denn inzwischen liefen vereinzelt Tränen ihre Wangen hinunter. Schnell wischte sie sie weg, dann fuhr sie fort: „Die Zuhälter hätten mich gerne als ihr Eigentum, aber ich weigere mich ja, wie du weißt. Sie drohen mir. Aber das interessiert keinen, schließlich drohen Zuhälter ja immer irgendwelchen Mädchen, egal, ob sie ihnen ‚gehören‘ oder nicht. So läuft das eben.“ Miles erschreckte es immer wieder, wie gleichgültig sie darüber reden konnte, wenn sie doch Tag für Tag Stück für Stück immer mehr daran zerbrach. „Das sind Idioten, die sich strafbar machen und du gehörst keinem, das nächste Mal haust du denen einen runter, okay?“, sagte er und fühlte sich dabei ein wenig hilflos. „Die Dealer“, redete sie unbeirrt weiter, „rasten total aus, weil jede bei ihnen irgendwas kauft, um mit ihrem Drecksleben besser klarzukommen und -“ Sie wurde von ihm unterbrochen: „Du rauchst ‚nur‘ Gras. Glaub mir, die sind einfach nur dumm. Alle. Bleib einfach bei mir, ja? Bleib bei mir und geh nie wieder dahin, das ist es nicht wert. Du hast so viele Alterna…“ „Alternativen? Wer will denn bitte jemanden einstellen, der schon mit 16 auf den Strich gegangen ist?“, schnaubte Hope. Darauf wusste er keine Antwort, aber ihm wurde warm ums Herz, als er sie versöhnlich sagen hörte: „Aber ich bleibe gerne ein bisschen bei dir.“ Er nickte dankbar und fuhr dann nach Hause. Dort machte er beiden eine heiße Schokolade, Hope weinte und weinte immer wieder und Miles tröstete sie. Dass er es beinahe genoss, sorgte dafür, dass er unglaublich wütend auf sich selbst wurde, rechtfertigte es aber mit dem Gedanken, dass es ihm nur um die Nähe ging und er es auch genießen würde, wenn sie nicht so fertig wäre. Irgendwann schlief sie in seinen Armen ein und er lächelte, während er aus dem Fenster sah und den Himmel dabei beobachtete, wie er immer dunkler wurde, bis auch er einschlief.

Tap on my window, knock on my door
I want to make you feel beautiful
I know I tend to get so insecure
It doesn’t matter anymore
It’s not always rainbows and butterflies
It’s compromise that moves us along
My heart is full and my door’s always open
You come any time you want

Am nächsten Morgen war Hope verschwunden und Miles alles andere als begeistert. Er versuchte, sie anzurufen, aber es ging nur die Mailbox ran. „Scheiße. Mann, geh an dein Handy ran, wo bist du?“, fluchte er, legte auf und warf das Handy auf den Tisch, sodass es den Tisch entlangschlitterte und beinahe herunterfiel. Erst jetzt fiel ihm ein, dass er sie gestern gar nicht gefragt hatte, wie sie darauf kam, dass sie ihn hassen würde und das wollte er nachholen. Jetzt. Fahrig griff erst nach seinem Handy, dann nach seiner Jacke, anschließend suchte er hektisch seinen Autoschlüssel. Entschlossen stieg er in seinen Wagen und fuhr los. Er war beinahe davon besessen, zu erfahren, was sie meinte und missachtete dafür ein paar Verkehrsregeln, aber es war ihm egal. Er wollte einfach nur wissen, was los war.
„Wieso sollte ich dich hassen?“, fragte er geradeheraus, als er vor ihr stand. Sie sah ihn lange an, ihr Blick schien irgendwie anders und leer und er glaubte, wieder einen leichten Grasgeruch zu vernehmen, aber sicher war er sich nicht. „Ich bin doch nur ein Stück Dreck, das rumhurt und nicht mal eine Beziehung auf die Reihe kriegt. Ich geh seit eineinhalb Jahren auf den Strich und bin ein Wrack. Ich mache alles kaputt. Du musst mich hassen und das merkt man ja, oder kämpfst du um mich?“, sagte sie ruhig. Er starrte sie an. „Hope, nach jeder gottverdammten Trennung fahre ich Tag für Tag an diesen abstoßenden Ort und warte auf dich, weil ich dir weder irgendwelche…“, er stockte, es kostete ihn Überwindung, es zu sagen, „Kunden vergraulen noch aufdringlich sein will!“, entgegnete er entsetzt. „Ich warte jede Sekunde auf dich und du musst mir nur einen winzigen Hinweis geben, ich bin da. Das Leben ist unfair, Hope, ich glaube, es hat sich gegen uns verschworen, aber ich glaube an dich. An uns. Du weißt genau, dass du jederzeit zu mir kommen kannst.“ Er drehte sich um, mit verschränkten Händen am Hinterkopf und ließ sie den Nacken herunterfahren, dann drehte er sich um, Miles kämpfte mit den Tränen. Er steckte die Hände in die Hosentaschen und ballte sie zu Fäusten. Dabei umschlossen die Finger seiner rechten Hand kaltes Metall. Überrascht darüber zog er es aus der Hand und als er sie öffnete, lächelte er. Wie hatte er das nur vergessen können. „Da“, sagte er und warf Hope den kleinen Schlüssel zu. „Damit ist meine Tür wortwörtlich jederzeit für dich offen, komm einfach, wann immer du willst, okay?“ Hope konnte ihren verwunderten Blick nicht vom Schlüssel abwenden, also beschloss Miles, zu gehen, verabschiedete sich wortlos mit einem Tippen an die Schläfen von Hopes Konkurrentinnen und ging.
Miles dämmerte gerade abends in seinem Fernsehsessel weg, als sich plötzlich die Tür öffnete. Hope stand in der Tür und fragte tonlos: „Miles…was ist das jetzt zwischen uns? Wir sind nicht mehr zusammen und trotzdem gibst du mir einen Schlüssel. Was heißt das?“ Miles erhob sich, lief zu ihr herüber, umarmte sie fest und küsste sie auf Haar. „Dass ich dich nicht gehen lassen kann. Es ist mir egal, wie kompliziert es wird. Bleib hier. Verlass mich nicht, sei wieder meine Freundin, verdammt.“, murmelte er. Er spürte Hopes Arme, die sich um seine Hüfte legten und er merkte, wie sie nickte. „Okay. Wir schaffen das. Ich liebe dich, Miles.“, sagte sie leise. Er lächelte nur und sagte: „Ich liebe dich auch, hörst du? Ich könnte dich niemals hassen. Niemals. Eher sterbe ich. Und du bist kein wertloses Stück Dreck, mit dem irgendeiner einfach rumhurt. Du bist der wertvollste und schönste Mensch in meinem Leben, du bist meine große Liebe, Kleines“, sagte er, in seiner Stimme schwangen Stolz und Glück und er hoffte, dass zumindest auch das Glück auf seine Freundin übersprangen. Er schob sie ein Stückchen von sich, um ihren Gesichtsausdruck zu prüfen und es zerriss ihm das Herz, als er sah, dass sie Tränen in den Augen hatte und sich trotzdem zu einem Lächeln zwang, auch, wenn es unglaublich traurig war. „Was ist los?“, fragte er bestürzt. „Einer meiner Freier…“, setzte sie an, schluckte und fuhr dann mit erstickter Stimme fort: „…hat gesagt, er würde an meiner Stelle auch zur Hure werden, wenn er so hässlich wäre“ Dann ließ sie ihren Tränen freien Lauf. „Verdammt, wieso bin ich nur so sensibel? Als Nutte ist das verdammt unpassend“, fluchte sie leise, während Miles sie einfach nur umarmte, um einfach nur für sie da zu sein. „Er war ein Arschloch, der einfach nur seine Macht ausnutzen wollte. Dabei hat er eigentlich keine Macht, immerhin kannst du dich jederzeit weigern und dann steht der da, ganz unbefriedigt, ja?“, sagte er nach einer Weile. „Na und?“, entgegnete Hope heftig und schluchzend. Miles schwieg wieder und umarmte wieder einfach nur fest.
Hope lag in der Badewanne und es ging ihr wieder besser, als Miles immer noch auf dem Sofa saß und im dämmrigen Wohnzimmer vor sich hinstarrte, ein halbleeres Weinglas in der Hand. Er ließ es in seiner Hand kreisen und sah dem Wein dabei zu, wie er als dünne Schicht stellenweise am Glas hängen blieb und einen transparenten Film bildete. 
Als sich die Badezimmertür öffnete und Schwaden von Wasserdampf herauswaberten, stürzte Miles den Rest der roten Flüssigkeit herunter und sah seiner Freundin erwartungsvoll entgegen. Ihre Haare waren unter einem Handtuchturban versteckt, genauso wie die Hälfte ihres Körpers. Er lächelte, obwohl es ihn plötzlich störte, dass Hope seit ihrer Beziehung nie mit ihm geschlafen hatte. Für Miles war das immer okay gewesen, immerhin hatte seine Freundin genug Verkehr, ihre Einstellung gegenüber Sex war auch nicht wirklich die Beste und er akzeptierte das vollkommen. Er drängte seine Gedanken beiseite und fragte: „Wie geht’s dir inzwischen?“ Hope strahlte ihn an und sagte: „Wunderbar!“ Miles war sich nicht ganz sicher, ob er ihr Glauben schenken konnte, doch es kam ihm falsch vor, nachzufragen, also sah er sie weiterhin an und lächelte. „Miles“, setzte sie plötzlich zögernd an. Alarmierend rutschte Miles zur Seite, klopfte neben sich auf das Sofa und sagte: „Setz dich, Kleine.“ Hope setzte sich verunsichert neben ihn, dann fing sie an: „Miles, so geht das nicht. Du tust alles für mich und ich tue nichts!“ Irritiert sah er sie an: „Wie meinst du das?“ „Der Schlüssel? Das ewige Warten? Das Ertragen der Freier? Der Nicht-Sex?“, antwortete sie. Miles lachte auf. „Hope, ich bitte dich. Du tust mehr für mich als ich für dich, du kriegst das nur nicht mit. Ist schon okay, mach dir keine Sorgen.“ Hope brummte kurz, dann stand sie auf und ging schlafen. Normalerweise diskutierten beide stundenlang, wer im Bett und wer auf dem Sofa schlief, aber heute waren weder Miles noch Hope in der Stimmung und auch, wenn Miles lieber im Bett geschlafen hätte, ließ er Hope in Ruhe. Was war schon eine Nacht auf dem Sofa?

I know where you hide
Alone in your car
Know all of the things that make you who you are
I know that goddbye means nothing at all
Cause it makes me catch her every time she falls
Tap on my window, knock on my door
I want to make you feel beautiful

Hope hatte wochenlang bei Miles übernachtet, nicht mal gestritten hatten sie. Bis sie eines Morgens wieder einmal verschwand. Miles war es leid. Dieses ewige Bleiben und Gehen, wie es ihr passte. Wütend fuhr er wieder einmal an den Strich, dieses Mal schaffte er es sogar, die Freier und Prostituierten zu ignorieren. Als er Hope nicht finden konnte, dachte er nach, wo sie noch sein konnte. Er fuhr alle möglichen Plätze, die ihm einfielen ab, sogar in einem Obdachlosenheim sah er nach, weil er sich daran erinnerte, dass Hope dort mal übernachtet hatte, nachdem sie keinen Platz gefunden hatte. 
Als er vor ihrer Wohnung stand und sie nicht da zu sein schien, gab er auf. Tränen traten im in die Augen und alles, woran er denken konnte, waren die Worte, die sie eines Nachts gemurmelt hatte: „Brauche…LSD…mein Leben….unerträglich…“
 Er hatte sie damals unendliche Sorgen gemacht und sie am nächsten Morgen darauf angesprochen, aber sie sagte nur: „Das ist normal. Alle werfen sich mal ´nen Trip oder rauchen. Wie willst du das auch sonst überleben? Das zerstört dich, Miles.“ Für ihn hatte das einleuchtend geklungen und er war sich sicher, dass sie mit ihren achtzehn Jahren wusste, was sie tat, weswegen er nie mehr darüber mit ihr gesprochen hatte.
Jetzt bereute er es. Was, wenn sie in den all den Tagen, während sie bei im gehaust hatte, den Gedanken, das Stricher-Leben, das Hin und Her zwischen ihm und ihr, ihren Selbsthass und den Ekel zu beenden? An Drogen zu kommen war für sie ein Kinderspiel, sie musste nur fünf Schritte tun und schon hatte sie mehrere Dealer an den Fersen. Geld hatte sie schließlich auch genug, darum kam Miles dieser Gedanke immer realistischer vor. Wie von der Tarantel gestochen rannte er los und stolperte fast die Treppe herunter. Laut fluchend verließ er das Haus, stieg ins Auto und raste wieder zurück zum Strich. Dort stürmte er zum nächstbesten Dealer packte ihn am Kragen und brüllte: „Wo ist sie, he? Was hast du ihr vertickt? LSD? Heroin? Antworte mir, du Wichser!“ Der Dealer starrte ihn verwirrt an, befreite sich irgendwie aus seinem Griff, schüttelte den Kopf und sagte kalt: „Keine Ahnung, von was du redest.“ Miles machte seiner Angst und Wut mit einem kurzen Schrei Luft, dann wandte er sich an den nächsten, der lässig an einer Wand lehnte, einen Fuß, ganz wie ein Cowboy im Film, an die Wand gestützt. „Junge, die Kleine war seit Wochen nich’ hier. Die hat vorhin ihre Karre abgeholt und ist weggefahren. Komm runter, die’s weg.“, meinte der Dealer gelangweilt. „Was?“, war das einzige, was Miles fassungslos hervorbrachte. „Scheiße“, fluchte er dann. Er legte die Handballen an die Stirn und dachte nach, als ihn plötzlich eine Frau mit einem fast schon klischeehaft russischem Akzent ansprach: „Challo, möchtest du vielleicht ein bisschen Spaß chaben?“ Miles starrte sie an, dann schnauzte er: „Nein. Ich hab’ keinen Bock mehr auf euren verdammten Strich.“ Dann drehte er sich um und ging.
Als Miles das Auto vor seinem Zuhause parkte und es zu regnen anfing, entdeckte er Hopes Wagen. Langsam stieg er aus und atmete erleichtert aus, als er sah, dass sie darin saß. Er stürmte zu ihr und klopfte wie wild an die Scheibe. Sein Herz zerriss, als sie Kopf hob und er in ihr tränenverschmiertes Gesicht sehen konnte. Sie ließ die Fensterscheibe runter, schniefte und lächelte dann schief, ehe sie sagte: „Ich hab auf dich gewartet.“ Miles hätte am liebsten gelacht, als er da so im Regen stand, vor dem Auto und sich die Seiten scheinbar gekehrt hatten, denn normalerweise saß er im Auto und Hope stand davor. Hope dachte wohl dasselbe, lachte und sagte dann: „Ich könnte das nicht ständig. Dieses Warten. Da würde ich durchdrehen.“  Miles nickte nur langsam. „Wieso hast du gewartet?“, fragte er dann mit ein wenig Argwohn in der Stimme. „Ich wollte mich verabschieden. Dich freigeben. Du musst auch mal von diesem Hin und Her loskommen. Du hast was Besseres verdient, Miles. Ich bin nur eine Stricherin, die gerade mal so eine On-Off-Beziehung hinkriegt. Das tut dir nicht gut und ich will dir nicht mehr wehtun.“, sagte sie schniefend. „Aber…Hope…ich…“, stammelte Miles verwirrt, „Ich…ich liebe dich. Verdammt, Hope, wie oft denn noch? Du bist meine große Liebe, sonst würde ich das doch nie im Leben mitmachen!“ Hope schnaubte nur, startete das Auto, verabschiedete sich noch einmal mit einem „Ich hoffe, du wirst glücklich“ und fuhr davon.
Miles wusste nicht, wie lange er dort stand und an den Punkt starrte, an dem das Auto verschwunden war. Er wusste nicht mal, ob es zu lange oder zu kurz war. Er wusste nur, dass er sie verloren hatte, denn so was hatte sie noch nie zu ihm gesagt und er hatte schon so viel mit ihr durchgemacht, um zu wissen, dass es nun endgültig vorbei war. Er fühlte sich unglaublich verloren und leer. 
Völlig durchnässt und fertig ließ er sich auf’s Sofa fallen, vergrub das Gesicht in den Händen, nur, um dann wieder aufzustehen, damit er eine Flasche Wein leeren konnte.
Als er betrunken im Bett lag, fing er an, zu weinen, denn alles schien nach Hope zu riechen. Das letzte, woran er denken konnte, bevor er einschlief, war, dass er nun endgültig die Hoffnung verloren hatte.

Please don’t try so hard to say goodbye
Please don’t try so hard to say goodbye
Yeah
I don’t mind spending every day
Out on your corner in the pouring rain
Try so hard to say goodbye

Wütend auf sich selbst fuhr sie die Straße entlang. Sie vermisste Miles jetzt schon und der Gedanke, dass er ihretwegen vielleicht nie wieder glücklich werden würde, so, wie er es schon so viele Male gesagt hatte, brachte sie um, auch, wenn sie wusste, dass es das richtige war, sie hatte immerhin lange genug darüber nachgedacht. Ihre Sicht verschwamm, als ihr Tränen in die Augen traten. Sie fuhr an den Straßenrand und heulte sich aus. Als sie fertig war, war es dunkel und sie beschloss, im Auto zu übernachten.

Die nächsten Monate machte sie „Überstunden“, ging noch öfter und noch länger auf den Strich, um Miles zu verdrängen. Sie bereute es immer wieder, nicht mit ihm geschlafen zu haben, aber sie hatte immer gedacht, dass sie noch viel mehr Zeit mit ihm verbringen würde. Sie hasste sich dafür, so dumm gewesen zu sein.
Das tägliche Spiel, nämlich Aufstehen, Schminken, Zusammenbrechen, nochmal schminken, Strich, nach Hause kommen und in ihr Bett zu fallen, wiederholte sich immer und immer wieder, inzwischen war es reiner Automatismus. Sie vermisste Miles mehr als alles andere, ihr Job konnte das inzwischen auch nicht mehr betäuben, so wie es anfangs funktioniert hatte. 
Sie hatte schon oft darüber nachgedacht, ein paar Pillen einzuwerfen und sich dabei „zu verzählen“, bisher hatte sie sich aber nicht dazu überwinden können.
Manchmal, wenn sie sich einsam und verhasst fühlte, schlich sie zu der Ecke, an der Miles immer auf sie gewartet hatte. Aber er war nie dort aufgetaucht und Hope wusste, dass es ihre Schuld war, dass Miles dort nie wieder warten würde. Wahrscheinlich hatte sie sich zu heftig und zu unerwartet von ihm verabschiedet, um eine Rückkehr, ein Vergeben und Verzeihen zu erwarten und dafür hasste sie sich.

Der Mann sah unglaublich gut aus und sie hatte schon fast Mitleid mit ihm, als er lächelte und sagte: „Eigentlich mag ich das nicht. Mit Prostituierten schlafen. Nicht, dass es irgendwie verwerflich wäre, ich find’s einfach nur scheiße, mit Fremden zu schlafen. Aber heute mache ich eine Ausnahme, weil ich sonst durchdrehe.“ 
Nachdem das zu Erledigende erledigt war, legte sich Hope hin, als hätte sie einen Kreislaufkollaps, zitternd vor Ekel und Hass. Der junge Mann sah sie beinahe besorgt an. „Alles okay?“ „Ja, ja, alles okay. Nur…Ekel. Und Hass. Nicht deinetwegen. Meinetwegen. Kommt davon, wenn man auf den Strich geht und deswegen seine Beziehung versaut.“, murmelte sie. „Oh, ich…ich würde dich ja gerne einladen, darüber zu reden, aber ich schätze…“, setzte er an. Sie nickte „Schon gut. Ich muss dann auch gehen.“, nahm ihm mit einem Lächeln das Geld aus der Hand. Bevor sie aus der Tür des Hotelzimmers ging, drehte sie sich nochmal um und sagte: „Es war übrigens schön. Eines der schönsten Geschäfte, die ich je hatte. Danke dafür.“

Es war das letzte Mal, dass sie auf den Strich ging, aber Miles traf sie trotzdem nie wieder.


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