Beinahe ängstlich strich sie über die rauen Hände, die ihre
umschlossen. Sie spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Verzweifelt
kämpfte sie dagegen an, versuchte immer wieder, sie herunterzuschlucken und
zurückzudrängen. „Hey“, ertönte eine tiefe Stimme neben ihr, „alles okay?“ Sie
nickte nur und zwang sich zu einem Lächeln, welches jedoch zu einem echten
wurde, als sie den flüchtigen Kuss auf ihrer Wange spürte. „Wenn du meinst“,
sagte die Stimme immer noch ein wenig besorgt. Sie wendete ihr Gesicht in
Richtung der Stimme. „Danke“, murmelte sie. Eine Hand löste sich von ihrer und
strich über Wange und wischte eine Träne, die jetzt doch ihre Träne herunter
lief, weg. „Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn du dich bedankst.
Wenn sich jemand bedanken muss, dann ich.“, war die Antwort. „Nein, Felix“,
widersprach sie. Felix’ leises, sanftes Lächeln erklang direkt in ihrem Ohr.
„Doch, Kleines.“ Dann fuhr er, bevor sie ihm erneut widersprechen konnte, fort:
„Danke, dass du mir so blind vertraust.“ Das verletzte sie, verächtlich
schnaubend murmelte sie: „Im wahrsten Sinne des Wortes!“ Auch, wenn die
Dunkelheit, die sie konstant umgab und sie blind machte, sie daran hinderte,
ihren Freund anzusehen, spürte sie, dass er verunsichert war und nach den richtigen
Worten zu suchen schien. „Ich…äh…“, stammelte er. „Schon gut“, meinte sie
beruhigend. „Tut mir leid, dass ich so reagiert hab.“, murmelte sie. Sicher war
sie sich nicht, aber sie glaubte, dass Felix nickte. „Luna?“, fragte er dann
leise. „Hm?“, brummte sie. „Ich habe Angst.“ Luna wusste nicht, ob ihr Blick so
verwirrt war, wie sie es sich wünschte, aber sie hoffte es. „Wovor?“, fragte
sie. „Was, wenn ich dir nicht mehr gut genug bin?“ Als sie diese Worte hörte,
versuchte sie gar nicht mehr, ihre Tränen zurückzuhalten. „Du weißt, dass das
eigentlich andersherum ist?“, schniefte sie. Erst war die Antwort ein
Schweigen, dann kam plötzlich ein hastiges „Ja, ich weiß“, was sie vermuten
ließ, dass er wieder mal vergessen hatte, dass sie blind war. Sie spürte, wie
sich ein Paar Arme um ihre Hüfte legte und Felix sie an sich zog. Immer wieder
gab er beruhigende „Sch“-Laute von sich und drückte seine Lippen immer wieder
an ihren Haaransatz, als wolle er sie küssen, habe aber nicht den Mut, es auch
wirklich zu tun. Irgendwann beruhigte sie sich wieder. „Was läuft da bei uns in
der Beziehung falsch? Warum sind wir beide so unsicher? Warum hast vor allem du
so Verlustängste? Sollte nicht ich die haben? Ich meine, immerhin bin ich blind
und das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ich denke, ich habe fast schon eine
„echte Begründung“ für Verlustängste, verstehst du, was ich meine?“ Sie spürte
an ihrem Kopf, dass er nickte, dann, dass vereinzelt etwas auf ihre Haare
tropfte. Sie hob den Kopf und tastete behutsam das Gesicht ihres Freundes ab.
Ihre Fingerspitzen wanderte über die Bartstoppeln, die weiche Haut, dann
erfassten sie etwas Nasses. „Tränen“, wisperte sie und redete dabei eher mit
sich selbst. Behutsam umfasste Felix ihre Handgelenke und wollte ihre Hände wegschieben,
sie aber wehrte sich und presste dabei ihre Finger auf seine Wangen.
„Luna…Bitte…“, sagte er leise und hilflos. „Nein!“, entgegnete sie
entschlossen. „Das ist unfair. Ich kann zwar nicht sehen, aber tasten und
fühlen und es ist nicht okay, dass du mir das auch ‚verbieten’ willst!“ Felix
seufzte und ließ von ihr ab. Langsam nahm sie eine Hand wieder von seiner Wange
und zerrieb die Träne zwischen ihren Fingern. Sie spürte seinen Atem auf ihrem
Gesicht und plötzlich schämte sie sich dafür, dass sie insgeheim versuchte, die
Tränen so intensiv zu fühlen. Also legte sie schnell, aber vorsichtig ihre Hand
wieder zurück an die Stelle, an der sie zuvor war, dann ließ sie ihre Hände
wieder sein Gesicht herunter gleiten bis hin zu seinen Lippen. Nachdem sie
diese ein wenig abgetastet hatte, merkte sie, dass er lächelte, dann zog sie
ihn langsam zu sich und küsste ihn. Für einen Moment schien er überrascht zu
sein, doch dann fing er sich und als Luna den Kuss beenden wollte, ließ Felix
sie nicht los, bis er schließlich doch ablassen musste, weil er keine Luft mehr
bekam. Stattdessen legte er seine Stirn an ihre und flüsterte: „Weißt du, ich
habe dir Texte geschrieben. Viele Texte. Und erst im Nachhinein ist mir
eingefallen, dass ich das nicht in Brailleschrift schreiben kann. Ich hab’s
wirklich jedes Mal vergessen, ist das zu fassen?“ Luna spürte, wie ihre Lippen
zu zucken und zu beben anfingen, dann brach sie in Gelächter aus. „Wirklich
jedes Mal?“, fragte sie nach. Sie könnte spüren, wie sich Felix’ Stirn bewegte.
Sie lächelte. „Du bist süß.“, sagte sie. Felix brummte nur, dann meinte er auf
einmal: „Warte mal kurz, okay?“ Luna nickte und war verwirrt, als sie plötzlich
eine Tüte rascheln hörte. Kurz darauf spürte sie seine rauen Hände an ihren,
die sanft ihre Finger, die sie leicht eingeknickt hatte, auseinanderdrückte,
dann merkte sie, wie etwas kaltes, kleines in ihren Händen lag. Behutsam
betastete sie es. „Was ist das?“, fragte sie dann. „Ein MP3-Player. Ich hab die
Texte aufgenommen, dann kannst du sie dir anhören“, sie strahlte, zum einen,
weil sie heraushörte, dass er lächelte, zum anderen, weil sie nicht fassen
konnte, dass ein Mensch so etwas für sie tat. Aufgeregt tastete sie nach den
Kopfhörern, nachdem sie das ganz leise Klicken vernahm, das Kopfhörer, die
eingesteckt wurden, machten. „Warte“, murmelte Felix und steckte ihr die
Kopfhörer in die Ohren, dann sagte er, bevor er auf Play drückte: „Ich lass
dich jetzt allein, ich glaube, es ist besser, wenn ich nicht dabei, während du
das hörst, ja?“ Noch während sie nickte, hörte sie Felix’ Stimme direkt in
ihren Ohren. Er erzählte ihr, wie schön er sie fand und beschrieb sie mit den
schönsten Worten, die sie je gehört hatte, wie sie aussah. Er erzählte ihr,
dass er, egal, wie schrecklich ihre Blindheit war, manchmal froh war, dass sie
ihn nicht sehen konnte, weil sie dann eben auch nicht sah, wie er aussah und
auch, dass sie vermutlich sofort Schluss machen würde, wenn sie wüsste, wie er
aussah. Die Tatsache, dass er so voller Lieber von ihr und so voller
Selbstzweifel von sich sprach, trieb ihr Tränen in die Augen. Sie weinte und
weinte und obwohl sie sich plötzlich alleine fühlte, war sie unfassbar
glücklich. Sie hörte es sich immer und immer wieder an, irgendwann sprach sie
sogar mit. Ihre Blindenuhr verriet ihr schließlich, dass es bereits 23 Uhr war
und sie beschloss, ins Bett zu gehen, trotzdem hörte sie nicht auf, sich die
Aufnahmen ihres Freundes anzuhören.
Als er sie am nächsten Tag besuchte, zog sie ihn an sich
heran und umarmte ihn, während sie erneut in Tränen ausbrach. Sie hatte das
Gefühl, sein halbes T-Shirt nass zu heulen. Wieder versuchte Felix’, Luna zu
beruhigen, strich ihr sanft über den Kopf und murmelte immer wieder: „Alles
gut. Es ist alles okay, Liebling.“ Luna versuchte, ihm klarzumachen, wie
dankbar sie für ihn war und dass sie sich fragte, wie sich das wieder gut
machen sollte. „Küss mich und bleib bei mir.“, antwortete er und das tat sie
dann auch.
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