Montag, 9. März 2015

Blind love

Beinahe ängstlich strich sie über die rauen Hände, die ihre umschlossen. Sie spürte, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten. Verzweifelt kämpfte sie dagegen an, versuchte immer wieder, sie herunterzuschlucken und zurückzudrängen. „Hey“, ertönte eine tiefe Stimme neben ihr, „alles okay?“ Sie nickte nur und zwang sich zu einem Lächeln, welches jedoch zu einem echten wurde, als sie den flüchtigen Kuss auf ihrer Wange spürte. „Wenn du meinst“, sagte die Stimme immer noch ein wenig besorgt. Sie wendete ihr Gesicht in Richtung der Stimme. „Danke“, murmelte sie. Eine Hand löste sich von ihrer und strich über Wange und wischte eine Träne, die jetzt doch ihre Träne herunter lief, weg. „Du weißt, dass ich es nicht leiden kann, wenn du dich bedankst. Wenn sich jemand bedanken muss, dann ich.“, war die Antwort. „Nein, Felix“, widersprach sie. Felix’ leises, sanftes Lächeln erklang direkt in ihrem Ohr. „Doch, Kleines.“ Dann fuhr er, bevor sie ihm erneut widersprechen konnte, fort: „Danke, dass du mir so blind vertraust.“ Das verletzte sie, verächtlich schnaubend murmelte sie: „Im wahrsten Sinne des Wortes!“ Auch, wenn die Dunkelheit, die sie konstant umgab und sie blind machte, sie daran hinderte, ihren Freund anzusehen, spürte sie, dass er verunsichert war und nach den richtigen Worten zu suchen schien. „Ich…äh…“, stammelte er. „Schon gut“, meinte sie beruhigend. „Tut mir leid, dass ich so reagiert hab.“, murmelte sie. Sicher war sie sich nicht, aber sie glaubte, dass Felix nickte. „Luna?“, fragte er dann leise. „Hm?“, brummte sie. „Ich habe Angst.“ Luna wusste nicht, ob ihr Blick so verwirrt war, wie sie es sich wünschte, aber sie hoffte es. „Wovor?“, fragte sie. „Was, wenn ich dir nicht mehr gut genug bin?“ Als sie diese Worte hörte, versuchte sie gar nicht mehr, ihre Tränen zurückzuhalten. „Du weißt, dass das eigentlich andersherum ist?“, schniefte sie. Erst war die Antwort ein Schweigen, dann kam plötzlich ein hastiges „Ja, ich weiß“, was sie vermuten ließ, dass er wieder mal vergessen hatte, dass sie blind war. Sie spürte, wie sich ein Paar Arme um ihre Hüfte legte und Felix sie an sich zog. Immer wieder gab er beruhigende „Sch“-Laute von sich und drückte seine Lippen immer wieder an ihren Haaransatz, als wolle er sie küssen, habe aber nicht den Mut, es auch wirklich zu tun. Irgendwann beruhigte sie sich wieder. „Was läuft da bei uns in der Beziehung falsch? Warum sind wir beide so unsicher? Warum hast vor allem du so Verlustängste? Sollte nicht ich die haben? Ich meine, immerhin bin ich blind und das klingt jetzt vielleicht blöd, aber ich denke, ich habe fast schon eine „echte Begründung“ für Verlustängste, verstehst du, was ich meine?“ Sie spürte an ihrem Kopf, dass er nickte, dann, dass vereinzelt etwas auf ihre Haare tropfte. Sie hob den Kopf und tastete behutsam das Gesicht ihres Freundes ab. Ihre Fingerspitzen wanderte über die Bartstoppeln, die weiche Haut, dann erfassten sie etwas Nasses. „Tränen“, wisperte sie und redete dabei eher mit sich selbst. Behutsam umfasste Felix ihre Handgelenke und wollte ihre Hände wegschieben, sie aber wehrte sich und presste dabei ihre Finger auf seine Wangen. „Luna…Bitte…“, sagte er leise und hilflos. „Nein!“, entgegnete sie entschlossen. „Das ist unfair. Ich kann zwar nicht sehen, aber tasten und fühlen und es ist nicht okay, dass du mir das auch ‚verbieten’ willst!“ Felix seufzte und ließ von ihr ab. Langsam nahm sie eine Hand wieder von seiner Wange und zerrieb die Träne zwischen ihren Fingern. Sie spürte seinen Atem auf ihrem Gesicht und plötzlich schämte sie sich dafür, dass sie insgeheim versuchte, die Tränen so intensiv zu fühlen. Also legte sie schnell, aber vorsichtig ihre Hand wieder zurück an die Stelle, an der sie zuvor war, dann ließ sie ihre Hände wieder sein Gesicht herunter gleiten bis hin zu seinen Lippen. Nachdem sie diese ein wenig abgetastet hatte, merkte sie, dass er lächelte, dann zog sie ihn langsam zu sich und küsste ihn. Für einen Moment schien er überrascht zu sein, doch dann fing er sich und als Luna den Kuss beenden wollte, ließ Felix sie nicht los, bis er schließlich doch ablassen musste, weil er keine Luft mehr bekam. Stattdessen legte er seine Stirn an ihre und flüsterte: „Weißt du, ich habe dir Texte geschrieben. Viele Texte. Und erst im Nachhinein ist mir eingefallen, dass ich das nicht in Brailleschrift schreiben kann. Ich hab’s wirklich jedes Mal vergessen, ist das zu fassen?“ Luna spürte, wie ihre Lippen zu zucken und zu beben anfingen, dann brach sie in Gelächter aus. „Wirklich jedes Mal?“, fragte sie nach. Sie könnte spüren, wie sich Felix’ Stirn bewegte. Sie lächelte. „Du bist süß.“, sagte sie. Felix brummte nur, dann meinte er auf einmal: „Warte mal kurz, okay?“ Luna nickte und war verwirrt, als sie plötzlich eine Tüte rascheln hörte. Kurz darauf spürte sie seine rauen Hände an ihren, die sanft ihre Finger, die sie leicht eingeknickt hatte, auseinanderdrückte, dann merkte sie, wie etwas kaltes, kleines in ihren Händen lag. Behutsam betastete sie es. „Was ist das?“, fragte sie dann. „Ein MP3-Player. Ich hab die Texte aufgenommen, dann kannst du sie dir anhören“, sie strahlte, zum einen, weil sie heraushörte, dass er lächelte, zum anderen, weil sie nicht fassen konnte, dass ein Mensch so etwas für sie tat. Aufgeregt tastete sie nach den Kopfhörern, nachdem sie das ganz leise Klicken vernahm, das Kopfhörer, die eingesteckt wurden, machten. „Warte“, murmelte Felix und steckte ihr die Kopfhörer in die Ohren, dann sagte er, bevor er auf Play drückte: „Ich lass dich jetzt allein, ich glaube, es ist besser, wenn ich nicht dabei, während du das hörst, ja?“ Noch während sie nickte, hörte sie Felix’ Stimme direkt in ihren Ohren. Er erzählte ihr, wie schön er sie fand und beschrieb sie mit den schönsten Worten, die sie je gehört hatte, wie sie aussah. Er erzählte ihr, dass er, egal, wie schrecklich ihre Blindheit war, manchmal froh war, dass sie ihn nicht sehen konnte, weil sie dann eben auch nicht sah, wie er aussah und auch, dass sie vermutlich sofort Schluss machen würde, wenn sie wüsste, wie er aussah. Die Tatsache, dass er so voller Lieber von ihr und so voller Selbstzweifel von sich sprach, trieb ihr Tränen in die Augen. Sie weinte und weinte und obwohl sie sich plötzlich alleine fühlte, war sie unfassbar glücklich. Sie hörte es sich immer und immer wieder an, irgendwann sprach sie sogar mit. Ihre Blindenuhr verriet ihr schließlich, dass es bereits 23 Uhr war und sie beschloss, ins Bett zu gehen, trotzdem hörte sie nicht auf, sich die Aufnahmen ihres Freundes anzuhören.


Als er sie am nächsten Tag besuchte, zog sie ihn an sich heran und umarmte ihn, während sie erneut in Tränen ausbrach. Sie hatte das Gefühl, sein halbes T-Shirt nass zu heulen. Wieder versuchte Felix’, Luna zu beruhigen, strich ihr sanft über den Kopf und murmelte immer wieder: „Alles gut. Es ist alles okay, Liebling.“ Luna versuchte, ihm klarzumachen, wie dankbar sie für ihn war und dass sie sich fragte, wie sich das wieder gut machen sollte. „Küss mich und bleib bei mir.“, antwortete er und das tat sie dann auch.

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